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Büchertipps / Rezensionen



Titelbild
Heiner Flassbeck:

50 einfache Dinge, die Sie über unsere Wirtschaft wissen sollten

Der frühere Finanzstaatssekretär Flassbeck räumt mit wirtschaftspolitischen Dummheiten und neoliberalen Mythen auf




Die westliche Welt im Allgemeinen, die Bundesrepublik aber in besonders ausgeprägtem Ausmaß erlebten spätestens seit den frühen 1980er Jahren einen wirtschaftspolitischen und ideologischen Rückschritt, der von links zumeist mit dem Schlagwort "Neoliberalismus" zu erfassen versucht wird. Der Wortbestandteil "Neo-", "neu", trifft die Realität dabei aber nur ungenau: neu ist diese Ideologie nicht, es handelt sich vielmehr um eine Rückkehr zu kapitalistischen wirtschaftspolitischen Ideologien des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts. Massive Steuersenkungen, der Rückzug des Staates aus seiner sozialen Verantwortung, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, Abbau sozialer Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung sind Bestandteile einer wiederentdeckten Theorie, die radikal auf Marktmechanismen setzt.

Nachdem solcherlei wirtschaftspolitische Ideologien in den 1930er Jahren schon einmal gescheitert sind, bestimmten - mit Verzögerung durch den Zweiten Weltkrieg - ab 1945 keynesianische Theorien die Wirtschaftspolitik westlich-kapitalistischer Staaten. Sie setzten auf massive staatliche Interventionen in Sozial- und Wirtschaftspolitik, um offensichtliche Defizite marktorientierter Regulierungsmechanismen wettzumachen. Es war dies nicht nur eine Reaktion auf die Systemkonkurrenz durch die früheren realsozialistischen Staaten, sondern auch auf das offensichtliche Scheitern eines nackten Kapitalismus, der die Welt in eine Katastrophe geführt hatte.

Es gibt in Deutschland heute nur noch wenige PolitikerInnen und noch weniger WirtschaftswissenschaftlerInnen, die an keynesianischen Ideen festhalten. Diese Entwicklung sollte gerade auch von Linken wahrgenommen werden, die Alternativen zum bestehenden kapitalistischen Wirtschaftssystem - neoliberal oder keynesianisch - einfordern. Eine keynesianische Kritik an der derzeitigen Wirtschaftspolitik kann durchaus mit Gewinn gelesen werden, auch wenn sie vor der Überwindung des Kapitalismus letztlich nicht nur zurückschreckt, sondern sich gar Rezept zur Integration antagonistischer (Klassen-)Interessen innerhalb einer Gesellschaft versteht. Einen gut zu lesenden, für Laien geschriebenen und fundiert recherchierten keynesianischen Rundumschlag hat nun Heiner Flassbeck vorgelegt, der 1998 bis 1999 unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Finanzministerium war und heute bei der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) arbeitet.

Flassbecks Kernthese ist, dass sich die meisten der neoliberalen Mythen durch ein wenig komplexeres Nachdenken, als dies in den gängigen wirtschaftspolitischen Debatten üblich ist, entzaubern lassen. Dies gelingt ihm gut: Steuersenkungen und Globalisierung, Arbeitsmarkt und Rentenpolitik, Hartz und Europa, Finanzpolitik und Staatshaushalt - Flassbeck zeigt, dass vieles, was uns täglich um die Ohren geschlagen wird, einer kritischen Betrachtung nicht standzuhalten vermag. Einige Beispiele: er weist nach, dass Sparen von Privathaushalten wie auch Sparen des Staates fatale Folgen hat; er erläutert, weshalb die Hartz-Gesetze ihre arbeitsmarktpolitischen Ziele nicht erreichten (und nie erreichen konnten); er zeigt, wie Deutschland angesichts seiner exorbitant wachsenden Exporte bei darniederliegender Binnenkonjunktur die Weltwirtschaft gefährdet; er benennt die Vorteile, die Flächentarifverträge gerade auch für Unternehmen haben; er relativiert die Angst vor Globalisierung und dem Abwandern von Arbeitsplätzen. Dabei setzt Flassbeck zwar optimalerweise nur wenig wirtschaftswissenschaftliches Vorwissen voraus, übertreibt allerdings bisweilen mit seiner - im Grundsatz löblichen - Neigung zur bildhaften Darstellung der komplexen Sachverhalte.

Interessanterweise finden auch Gewerkschaften die Kritik Flassbecks: "Wenn es etwas zu beklagen gibt, dann die noch immer nicht vorhandene Bereitschaft der Interessenvertreter der Arbeitnehmer, ihren Mitgliedern und der Bevölkerung reinen Wein über die Verzichtspolitik der letzten 25 Jahre und ihre eigenen strategischen Fehler einzuschenken." (S. 106) Durch eine mäßige Lohnpolitik und die übertriebene Orientierung an einem gesellschaftlichen Konsens haben nicht zuletzt die Gewerkschaften selbst zu Lohnrückgängen, Erosion der Flächentarifverträge, Abbau des Sozialstaats und damit zum Zerfall der deutschen Volkswirtschaft beigetragen - ohne diese strategischen Fehler der Vergangenheit je eingestanden zu haben oder gar zu versuchen, sie wieder wett zu machen.

Flassbeck hat ein Buch vorgelegt, das in seiner Kritik am gängigen System zwar auf halbem Wege stehen bleibt. Von der Überwindung des Kapitalismus ist er weit entfernt. Dies überrascht angesichts seiner keynesianischen Haltung nicht, tut aber der Berechtigung und überzeugenden argumentativen Fundierung seiner Kritik an neoliberalen Ideologien keinen Abbruch.

RezensentIn: Jan Peter Althoff

Erschienen bei Westend Verlag 2006, 17,90 Euro.


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