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Büchertipps / Rezensionen



Titelbild
Toralf Staud:

Moderne Nazis
Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD

Eine fundierte Analyse des erschreckenden Wiederaufstiegs der NPD sowie des sozialen Milieus, in dem diese Partei ihre Basis hat




Rechtsextremismus in Deutschland – ein heikles und oft unbeachtetes Thema in der deutschen Medienlandschaft. Nur selten kramen die großen Tages- und Wochenzeitungen das Problem des wiedererstarkten Neofaschismus hervor. Nur wenn die NPD mal wieder in einen ostdeutschen Landtag eingezogen ist, melden sich für ungefähr drei Tage lang die Spitzenpolitiker aller Parteien zu Wort und versprechen, eine umfassende gesellschaftliche Diskussion anstoßen zu wollen. Jemand, der sich nicht nur alle zwei Jahre mit der Gefahr von Rechts beschäftigen möchte, ist demnach gezwungen, die Tageszeitung zu wechseln oder sich Bücher zu diesem Thema zu besorgen.

Genau zwischen den Landtagseinzügen der NPD in Sachsen 2004 und Mecklenburg-Vorpommern 2006 erschien das Buch „Moderne Nazis“ von Toralf Staud bei Kiepenheuer und Witsch (kurz: KiWi). Toralf Staud studierte Journalistik und Philosophie und beschäftigte sich während seiner Arbeit für die „ZEIT“ jahrelang intensiv mit der Rechten Szene.

Zu Beginn wird Udo Voigt, der aktuelle NPD-Parteivorsitzende, vorgestellt. Der "pragmatische Fundamentalist" (S. 20) Voigt schaffte es seit seiner Wahl zum Vorsitzenden 1996, die Mitgliederzahl der Partei von 2800 auf 6000 zu erhöhen und vor allem dank Bündnissen mit Neonazi-Kameradschaften und der DVU die vorher lange bedeutungslose NPD in zwei Landtage zu führen. Toralf Staud hält den Diplom-Politologen und ehemaligen Bundeswehr-Hauptmann Voigt keinesfalls für einen „dummen Nazi“, sondern bezeichnet ihn als „Machtpragmatiker“ (S.26).

Die nächsten Kapitel beschäftigen sich ausgiebig mit der Parteigeschichte der NPD. Kurz nach ihrer Gründung 1964 konnte die NPD zu Zeiten der Großen Koalition (1966-1969) in insgesamt sieben Landtage einziehen. Ein desaströser Wahlkampf verhinderte 1969 nur knapp den Sprung der NPD in den Bundestag (4,3%). Aufgrund der Wahlniederlage brachen innerhalb der Partei Richtungskämpfe aus, und sie versank nach und nach für Jahrzehnte in der Bedeutungslosigkeit. Das gescheiterte Verbotsverfahren der NPD und der programmatische Wechsel von einer christlich-nationalkonservativen Partei (die NPD schlug der CDU vor, eine mögliche Minderheitsregierung zu unterstützen) zu einer heidnisch-nationalrevolutionären wendeten das Blatt. Das neue Programm der Nationaldemokraten wird auf 36 Seiten sehr ausführlich und detailliert beschrieben.

Es folgt ein Kapitel über die sächsische Landtagsfraktion. Der Landtag dient der NPD insbesondere als Geldmaschine, Propagandabühne und Lehrwerkstatt. Hier können sie nicht nur das nötige Geld für Wahlkämpfe (und nebenbei für sich selbst) kassieren, sondern auch hin und wieder durch Tabubrüche (siehe die Debatte über den sog. Bomben-Holocaust) auf sich aufmerksam machen. Durch solche Tabubrüche wollen die Rechtsextremen die nationalsozialistische Geschichte Deutschlands relativieren oder, wie sie sagen, „Hemmschwellen abbauen“.

Nachfolgend vergleicht Toralf Staud zwei NPD-Hochburgen miteinander. In Königsstein (Sachsen) und Ehringhausen (Hessen) konnte die NPD Wahlerfolge von über 20 Prozent erringen, und doch gibt es einige Unterschiede, speziell im Umgang mit der NPD. Stoßen die Nazis in Sachsen nur auf geringe Gegenwehr, formierte sich hingegen in Ehringhausen massiver Widerstand. Der mangelnde Ansatz eines „aktiven Bürgertums“ (S. 151) ist nicht ausschließlich auf die Einwohner an sich zurück zu führen, sondern auf das Auftreten der lokalen NPD-Politiker. Während in Ehringhausen über ideologische Grundsätze gestritten wird, beschäftigt man sich in Königsstein mit kommunalpolitischen Themen.

Es folgt ein Kapitel über die Entwicklung der Skinheadszene und der rechten Subkultur im Allgemeinen. Vor allem die Musik dient der Jugend als „Einstiegsdroge“ in die rechte Szene. Frei nach dem Motto des 1993 verstorbenen Sängers der rechtsextremen Band Skrewdriver, Ian Stuart Donaldson: „Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen“. Die Musik spielt zwar innerhalb der Subkultur eine wichtige Rolle, längst aber nicht die einzige. "Nationale" Fußballturniere, Sonnenwendfeiern und Julfeste werden regelmäßig von so genannten Heimatbünden organisiert und dienen zur Rekrutierung der Jugend, nicht selten schon der Kinder. Aus Sicht des Autors stellt nicht die NPD als Partei, sondern die stetig wachsende rechte Subkultur die weitaus größere Gefahr dar. Das Ziel der organisierten Rechtsextremen ist es die (vornehmlich ostdeutsche) Provinz zu „faschisieren“.

Dass die NPD sich nicht nur aus Spenden ihrer Mitglieder finanziert, sondern neuerdings vor allem auch aus den Kassen des Staates, den die Partei eigentlich bekämpft, wird im nächsten Kapitel dargestellt. Stand die NPD jahrzehntelang kurz vor dem Ruin, geht es ihr heute nach den Wahlerfolgen finanziell gut wie nie.

Nach einer ausführlichen Beschreibung über das Leben in Wurzen, einer „national-befreiten Zone“ in Sachsen, gibt der Autor dem Leser eine kleine Gebrauchsanweisung über den Umgang mit der NPD an die Hand. Diese umfasst zwölf nützliche Tipps wie zum Beispiel, die NPD nicht zu über- aber auch nicht zu unterschätzen. Des Weiteren sind der politische Diskurs und das Entlarven der NPD wichtiger und effektiver als Anstoßen eines neuen Verbotsverfahrens.

Alles in allem bietet „Moderne Nazis“ eine umfangreiche, obgleich in vielen Teilen oberflächliche, Übersicht über die aktuellen Entwicklungen innerhalb der NPD und die der rechten Subkultur. Die Stärke des Buches sind der inhaltliche Umfang und die vielen Beispiele des Autors, die er aufgrund jahrelanger Recherchen vor Ort sammeln konnte. Wer sich schon länger mit dem Thema beschäftigt hat, wird in diesem Buch vieles Bekanntes und doch einiges Neues erfahren. Auf dem aktuellen Buchmarkt findet sich keine vergleichbare, so umfassende Arbeit. Aus diesem Grund (und in Anbetracht des überschaubaren Umfangs – 228 Seiten) für niemanden eine Zeitverschwendung.

RezensentIn: Sebastian Friedrich

Erschienen bei Kiepenheuer&Witsch 2005, 8,95 Euro.


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